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Im Gegensatz zum allgemeinen Rückgang der Drogenabhängigen steigt in Hamburg der Anteil drogensüchtiger Russlanddeutscher. Svetlana * (* Name geändert) sitzt in einem Sessel und zieht sich die Jackenärmel bis über die Handballen, als ob sie frieren würde. Dabei ist es eigentlich angenehm warm im Gesprächsraum der Suchtberatungsstelle. Auf dem Weg hierher hat sich die junge Frau die Kapuze über den Kopf gezogen, niemand soll wissen, dass sie „dieses Problem“ hat. Es vergeht eine Stunde, dann erst nimmt Svetlana das Wort „abhängig“ in den Mund.
Kapitelübersicht
Seit einem Jahr kommt die 23-Jährige Haschischabhängige einmal pro Woche zur Gesprächstherapie in die KODROBS-Beratungsstelle in Hamburg-Wilhelmsburg. Seitdem braucht sie „nur noch“ zwei, statt früher acht Joints, um ihr Leben zu meistern. Sie erzählt ihre Geschichte, die zwar eine persönliche ist, und dennoch viele Gemeinsamkeiten mit denen anderer russlanddeutscher Jugendlichen aufweist. Denn entgegen des allgemeinen Rückgangs an Drogenabhängigen sowie Drogentoten, wächst in Hamburg unter Abhängigen der Anteil von Russlanddeutschen.
Eine von ihnen ist Svetlana. Wenn sie beschreibt, wie sie in die Sucht geriet, dann spricht sie von einer Kapitulation vor den elterlichen Ansprüchen, der Suche nach Heimat, das Hin-und-Hergerissensein zwischen zwei Kulturen: Der Tradition der Heimat auf der einen Seite und der deutschen Gesellschaft, in der vieles kann und wenig muss, auf der anderen Seite.
Es sind eben jene Hürden in einem fremden Land, denen auch andere Gruppen gegenüberstehen, die Türken zum Beispiel. „Probleme haben die genauso“, bestätigt Kai Wiese, Vorstandsvorsitzender von jugend hilft Jugend Hamburg, „doch um die wissen wir schon seit Jahren.“ Erst seit etwa zwei Jahren treten vermehrt die meist jungen Russen an die Oberfläche. Zum einen liege bei den Russlanddeutschen die Hemmschwelle im Elternhaus um Alkohol wesentlich niedriger – im Gegensatz zu den Türken, die aufgrund religiöser Gebote dem Alkohol in der Regel abschwören.
Auch seien Russlanddeutsche laut Suchtbericht der Bundesregierung stärker als andere Minderheiten von der Heroinsucht gefährdet. Obwohl die Bevölkerungsgruppe nur 5 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht, ist ihr Anteil an den Drogentoten mit 12 Prozent überproportional hoch. Auch in Hamburg beobachte man die Entwicklung, dass zunehmend Russlanddeutsche Jugendliche ins Visier der Drogenberater rücken.
„Heimatlosigkeit und das Gefühl, in einer Gesellschaft nicht angekommen zu sein, das alles kann einen Identitätsverlust zur Folge haben. Und eine Identitätsstörung begünstigt die Entwicklung einer Sucht“, sagt Kai Wiese. Erschwerend komme hinzu, dass bei den jungen Einwanderern das Misstrauen gegenüber staatlichen Einrichtungen relativ hoch sei.
Es ist 15 Jahre her, da kam Svetlana mit ihren Eltern aus Russland nach Hamburg. Sie hatten es satt, immer nur „die Deutschen“ zu sein, Menschen zweiter Klasse also. Dann kamen sie nach Deutschland, nach Hamburg, und auch hier waren sie Menschen zweiter Klasse, doch konnten sie sich nun ein Auto leisten und den Kindern eine Zukunft. Dachten die Eltern. Svetlana konnte auf Deutsch noch nicht bis zehn zählen, da sagte der Vater schon, sie müsse Abitur machen. Damals war Svetlana zwölf, damals dachte sie noch, sie schafft das vielleicht. Irgendwie.
Hinzu kam auch, dass das Mädchen als Jüdin in Wilhelmsburg mit dem Vorsatz ihres Vaters, sich nicht mit Christen und schon gar nicht mit Muslimen herumzutreiben, von Anfang an in einem Dschungel aus Verboten überfordert war. Einem, indem sie schließlich die Orientierung verlor.
Marina Krawtschenko ist eine zurückhaltende Frau, sie nickt, während ihre Klientin erzählt. Die Sozialpädagogin, die ebenfalls mit ihren Eltern aus Russland nach Deutschland kam, weiß, wie „überhöht“ die Anforderungen russischer Eltern an ihre Kinder sind. „Fleiß, Disziplin und Altruismus (Selbstlosigkeit) sind Tugenden, die in unserer Kultur den Ton angeben.“ Seit eineinhalb Jahren weist die 30-Jährige, zusammen mit einer Kollegin in Bergedorf, im Rahmen von Kodrobs der russischdeutschen Klientel Wege aus der Abhängigkeit, auf.
Auch ihr verdankt Svetlana, dass sie die Sucht schließlich doch ihren Eltern gestanden, dass sie einen Neuanfang gemacht, sie nun eine Umschulung zur Ergotherapeutin begonnen hat. Sie lacht. „Ich soll anderen Menschen helfen, dabei weiß ich noch nicht einmal mir selbst zu helfen.“
© 2007 Autorin: Eva Eusterhus, DIE WELT, Artikel vom 12.02.2007