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Ein Mann beim Spielen am Computer

„Ich glaube, sein Spiel ist ihm wichtiger als ich“, klagt Linda in einem Internetforum. Ihr Freund so berichtet sie frustriert der Webgemeinde, spiele „sehr oft, an seinen freien Tagen den ganzen Tag sowie die ganze Nacht, bis in die frühen Morgenstunden. Ich denke, das ist schon Suchtverhalten“, schreibt sie.

Eine Woche später zieht Linda einen Schlussstrich. Sie trennt sich von ihrem Freund, der nicht mehr sie, sondern ein Spiel liebt: »World of Warcraft«, das weltweit beliebteste Online-Rollenspiel. Mehr als acht Millionen Menschen hat es bisher in seinen Bann gezogen, davon allein 680.000 in Deutschland.

Bei »World of Warcraft« schlüpft der Onlinespieler in die Rolle einer selbst geschaffenen Spielfigur, die er aus einer Vielzahl an Völkern und Klassen auswählen kann, um sie anschließend durch die riesige, virtuelle Welt Azeroths streifen zu lassen. Das Ziel des Spieles ist es, seinen Charakter auf ein immer höheres Level zu hieven und mit neuen Ausrüstungsgegenständen und Waffen auszustatten. Viele Spieler treffen sich dazu in so genannten Gilden, um in der Gruppe zu kämpfen oder untereinander über Mikrophon und Kopfhörer in Kontakt zu treten.

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Leben in einer Parallelwelt

So vielfältig die Möglichkeiten bei »World of Warcraft«, so groß sind auch die Gefahren, sich als Teilnehmer in dem Spiel zu verlieren, süchtig zu werden. Besonders exzessiven Nutzer, so genannte Geeks verabschieden sich häufig von ihrem realen Leben, um sich ganz der virtuellen Parallelwelt »World of Warcraft« zu widmen. „Ich spielte und spielte. Zwischendurch stritt ich mich halt mit den Eltern über meinen Spielekonsum, aber diese Diskussionen waren meist sehr kurz“, berichtet ein anonymer Onlinespiel-Süchtiger in einem Interview mit der Internetseite der World Cyber Games. „Die Schule dachte halt ich wäre schwer krank. Freunde und Freundin bemühten sich zwar lange, aber letztendlich stießen sie bei mir auf taube Ohren.“ Er sei regelrecht „innerlich versifft“, mit der Zeit immer weniger raus gegangen und habe dadurch seine Freunde verloren, erinnert sich der 19-jährige Schüler.

Nicht selten sehen Fans von »World of Warcraft« in dem Online-Rollenspiel die Möglichkeit, einmal der eigenen Existenz zu entfliehen und in ein anderes, stärkeres „Ich“ zu schlüpfen. In ihrer Gilde sind sie anerkannt, anders als im Beruf, der Schule, oder auch im Freundeskreis. Die Vorstellung, perfekt und unbesiegbar zu wirken, motiviert die Spieler, viel Zeit und Geld in ihr Hobby zu investieren. Dauer-Zocker spielen häufig mehr als zehn Stunden täglich. Ein Kenner der Szene, der selbst Spieler von »World of Warcraft« ist, schätzt die reine Spielzeit seiner Gildenmitglieder auf „mehr als 200 Tage“, und dass, obwohl der Titel erst seit gut zwei Jahren auf dem deutschen Markt erhältlich ist.

Wissenschaft contra Spieleentwickler

Dass Online-Computerspiele, wie »World of Warcraft« süchtig machen können, hat nun auch die Wissenschaft erkannt. „Online-Rollenspiele besitzen ein Suchtpotenzial und entsprechende Folgeschäden, wie sie auch bei anderen Suchterkrankung auftreten“, ist sich Dr. Sabine Grüsser-Sinopoli sicher. Als Leiterin der Interdisziplinären Suchtforschungsgruppe der Berliner Charité ist sie für die Beratungshotline für Computerspielsüchtige zuständig. „Hier wird durch therapeutisch ausgebildete Psychologen Aufklärung zum Störungsbild ´Computerspiel- und Onlinesucht` sowie individuelle Beratung angeboten“, sagt sie. Neben Angehörigen spielsüchtiger Jugendlicher, wenden sich auch immer mehr Erwachsene an die Beratungsstelle. Nicht selten haben die Betroffenen einen „Spielmarathon von 40 Stunden am Stück“ hinter sich.

Effektive Spielerschutzmaßnahmen

Besorgt äußert sich die Sucht-Expertin zu bekannt gewordenen Fällen onlinespielsüchtiger Kinder. „Aufgrund des inzwischen belegten Suchtpotentials und der hohen Zahl Hilfe suchender Angehöriger von Jugendlichen, sollten Online-Spiele nicht unter 16 Jahren frei gegeben werden“, fordert Grüsser-Sinopoli und ruft die Hersteller der Spiele dazu auf, „effektiv und wirkungsvoll Jugend- und Spielerschutzmaßnahmen umzusetzen.“ Im Alter von 12 Jahren seien Kinder in ihrer Entwicklung noch nicht gefestigt, um die Risiken von Computerspielen richtig einzuschätzen. Grüsser-Sinopoli plädiert daher für tageszeitliche Teilnahmebeschränkungen bei Schulkindern, um diese vor dem exzessiven Konsum von Online-Spielen zu schützen. „Wenn sich ein Kind in der Schulzeit schon nachts den Wecker stellt, um zu spielen, dann zeigt das doch ganz deutlich, welche Gefahr solche Spiele für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen darstellen.“

Bei den Spieleentwicklern selbst stoßen die Forderungen nach Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen zur Verbesserung des Spielerschutzes auf taube Ohren. „Blizzard wird Anfragen dieser Art nicht kommentieren“, hieß es auf Nachfrage bei der PR-Agentur Rössler, die in Deutschland für die Außendarstellung von Blizzardprodukten, wie World of Warcraft zuständig ist. „Sehr schade“, wie Grüsser-Sinopoli findet. Blizzard sollte sich der Thematik dringend verantwortungsbewusst stellen. Auch die Eltern seien in der Pflicht, den Problemen ihrer Kinder mehr Beachtung zu schenken, um ein „vorhandenes süchtiges Verhalten im Frühstadium zu erkennen und rechtzeitig eingreifen zu können.“ Wichtig sei, so betont die Expertin, bei Symptomen von Onlinespielsucht „nicht einfach weg zu schauen.“

© 2007 Conrad Ziesch

ZumAutor

Conrad Ziesch wurde 1985 in Görlitz geboren. Heute arbeitet und studiert er in Berlin. In seiner journalistischen Tätigkeit beschäftigt er sich mit Themen aus Politik, Sport und Gesellschaft.

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