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Portrait: Alla Ginzburg

Alla Ginzburg kam vor 15 Jahren aus Russland und fand ihre Unabhängigkeit. An ihre erste Nacht in Hamburg kann sich Alla Ginzburg nur zu genau erinnern. „Bekannte von uns hatten meinen Mann und mich in der ersten Nacht in einem Altersheim untergebracht – wir waren so froh, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben“, erinnert sich die gebürtige St.Petersburgerin und lacht. Auch die zweite Nacht war eher gewöhnungsbedürftig. „Man hatte uns in einer Wohnunterkunft in einem Hotel untergebracht: das ‚Inter-Rast‘ auf der Reeperbahn. Diese Welt aus bunten leuchtenden Schriftzügen war mir völlig neu, ich fand das alles sehr aufregend. Am Anfang haben wir tatsächlich gedacht, dass diese Vergnügungswelt das Zentrum von Hamburg ist!“

Kapitelübersicht

Für ein besseres Leben

Im Jahre 1993 war das. Damals war Alla Ginzburg gerade 22 Jahre alt. Die Idee, nach Deutschland zu gehen, kam von ihrem Mann. Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges gestattete die Bundesrepublik Deutschland Russen mit deutscher oder jüdischer Abstammung, sich in Deutschland niederzulassen. „Die wirtschaftliche Situation in Russland war damals sehr schlecht. Wir dachten, in Deutschland werden wir mit unseren Fähigkeiten ein besseres Leben haben.“

Alla Ginzburg
Alla Ginzburg: „Ich habe schon einiges geschafft, doch vieles liegt noch vor mir“. Foto: Thomas Ulrich

Die einzigen Brocken Deutsch, die Alla Ginzburg daheim in Russland kannte, lange bevor sie nach Deutschland kam, waren „Hände hoch“ – und „danke schön“. Sie lacht. Bereits ein Jahr vor ihrer Ausreise nach Deutschland hatten Alla und ihr Mann Deutschunterricht genommen, um sich auf das Leben in Deutschland vorzubereiten. Als sie herkam, verstand die junge Frau relativ viel Deutsch, tat sich aber mit der Aussprache schwer.

Nach sechs Monaten bezog das Paar die erste eigene Wohnung. In der ersten Zeit wird Allas Deutsch immer besser – nicht zuletzt, weil sie Behördengänge zu erledigen hat und sich verständigen will.

Vom schweren Anfang

Die ersten drei Jahre besucht das Paar Sprach- und Orientierungskurse. Nachdem sich herausstellt, dass die Ausbildung von Allas Mann in Deutschland nicht anerkannt wird, nimmt er einen Job als Autohändler an.

Allas russisches Fachhochschulstudium zur Lehrerin wird in Deutschland nur teilweise anerkannt. Um den deutschen Abschluss zu bekommen, hätte sie weitere vier Jahre die Fachhochschule besuchen müssen. Um möglichst schnell in Deutschland Fuß zu fassen, entscheidet sie sich jedoch zu einer Umschulung zur Steuerfachgehilfin.

Als sie schwanger wird, ist sie gezwungen, die Ausbildung aufzugeben. In den nächsten drei Jahren bleibt Alla zu Hause. „Ich war Hausfrau und Mutter, das Geld brachte mein Mann nach Hause, und ich traf mich mit anderen Russinnen.“

Eines Tages stellt sie fest, dass sie viel von dem Deutsch wieder vergessen hatte. „Ich habe mich so geschämt, dass ich gar nicht mehr den Mund aufgemacht habe“, erinnert sich die 37-Jährige. Eine russische Freundin, die gerade ein Sozialpädagogikstudium an der Fachhochschule begonnen hatte, löste schließlich eine Initialzündung aus. „Plötzlich merkte ich: Ich muss wieder unter Leute, ich möchte ein eigenes Berufsleben haben.“

Zwischen zwei Kulturen

Während ihre Eltern auf den Sohn aufpassten, büffelt die junge Frau an der Fachhochschule. Wälzt Wörterbücher, lernt Freud. Nach vier Jahren beginnt sie ihre Diplomarbeit. Thema: Trennungskinder. Ausgerechnet dieses Thema, schließlich war auch ihre Ehe mittlerweile in die Brüche gegangen. „Mein Mann und ich trennten uns im Guten, dennoch: Plötzlich musste ich mit unserem Kind allein zurechtkommen“, sagt sie.

Hinzu kam die eigene Identitätskrise. „Ich fühlte mich hin- und hergerissen zwischen zwei Mentalitäten – der deutschen und der russischen. Bis ich dann endlich verstanden habe, dass ich beide Kulturen in mir tragen kann und darf.“

Ein eigenes Berufsleben

Die Alleinerziehende tritt die Flucht nach vorn an. Noch während des Studiums nimmt sie einen Nachhilfejob auf Teilzeitbasis an einer Hamburger Schule an. Sie knüpft erste Kontakte und kommt finanziell über die Runden.

Eingang Suchtberatungsstelle KODROBS Bergedorf
Hier arbeitet Frau Ginzburg in Suchtberatungsstelle KODROBS Bergedorf des Trägers jugend hilft jugend Hamburg. Foto: Thomas Ulrich

Vor drei Jahren bekam die Sozialpädagogin eine Teilzeitstelle bei der Hamburger Suchtberatungsstelle „Jugend hilft Jugend“. Die Tatsache, dass sie einen russischen Hintergrund mitbringt, stellt für sie einen Vorteil dar. Die Arbeit mache ihr großen Spaß, weil sie ihr erlaube, beide Seiten ihrer Persönlichkeit – die deutsche, aber auch die russische – unter einen Hut zu kriegen, sagt Alla Ginzburg.

Für die Zukunft hat die alleinerziehende Mutter noch viel vor. „Ich habe schon einiges geschafft, doch vieles liegt noch vor mir. Und eines weiß ich ganz bestimmt: Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich wirklich unabhängig.“

ee (Die Welt)

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